Reformationsfest (31. Oktober 2023)

Autorin / Autor:
Professor Dr. Bernhard Mutschler, Reutlingen [Theologie@MutschlerMetzingen.de ]

Matthäus 5,1-10

IntentionGlückssuche ist nicht unbiblisch: „Mein Glück aber ist es, Gott nahe zu sein“, Psalm 73,28 (Zürcher Bibel). Jesu Glückseligpreisungen in der Bergpredigt bilden eine belastbare Grundlage für einen respektvollen, heilsamen und unterstützenden Umgang mit Menschen heute. So kann man glücklich werden.

Liebe Gemeinde,
die Seligpreisungen Jesu sind unser heutiger Predigttext. Sie stehen am Beginn der Bergpredigt Jesu. Hören Sie aus dem Matthäusevangelium Kapitel 5.

Die Seligpreisungen JesuAls er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und Jesus setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.


Streben nach GlückMenschen suchen nach Glück. Ihre Glückssuche ist aber nicht immer von Erfolg gekrönt. Und doch suchen Menschen nach Glück. Seit Aristoteles und den alten Griechen wird dazu philosophiert. Die amerikanische Verfassung erklärt das „Streben nach Glück“ (pursuit of happiness) zu einem Menschenrecht. Wie steht es um die Verwirklichung des Strebens nach Glück hier bei uns, in Mitteleuropa?

GlücksfaktorenIch möchte mich auf wenige Beobachtungen beschränken. Menschen sind glücklich, so beobachte ich, wo sie ein gutes Lebensumfeld haben: wo sie familiär und sozial gut eingebunden sind; wo eine gute Versorgung mit Lebenswichtigem besteht; wo sie ihr Leben nach ihren Möglichkeiten annehmen und zuversichtlich mitgestalten. Das bedeutet nicht, dass dabei alle Wünsche in Erfüllung gehen. Andererseits sind Menschen unglücklich, wo sie sich im Stich gelassen fühlen; wo sie ihre Lebenssituation nicht annehmen können; und wo sie den Kontakt zu einem lieben Menschen vermissen.

Menschen im 16. JahrhundertHeute zum Reformationstag denken wir zurück an die Menschen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Sie hatten ebenfalls mit Kriegsfolgen, Krankheit und Teuerung zu kämpfen. Sie waren zumeist Leibeigene und durften nicht in einer Demokratie mit Grundrechten und Menschenrechten leben. Sie lebten in der sogenannten „kleinen Eiszeit“, die Hungerwinter, lange zugefrorene Seen und Gletscherwachstum mit sich brachte. Ihr medizinischer, sozialer und technischer Standard war viel niedriger als heute, und was noch hinzukommt: Sie hatten oft eine panische Angst vor Gott als strafendem Richter.

31. Oktober 1517: 95 ThesenAm 31. Oktober 1517 war der Vorabend vor dem Patronatsfest der 1503 eingeweihten Wittenberger Schlosskirche „Aller Heiligen“. An diesem Abend heftete Martin Luther seine lateinisch verfassten 95 Thesen zu Ablass und Gnade an die Holztür der Wittenberger Schlosskirche. Diese Tür diente damals zugleich als Schwarzes Brett der 1502 gegründeten Universität Wittenberg. Luther wollte eine Gelehrtendiskussion – und bekam Mega-Publicity, Aufmerksamkeit aus allen Teilen Deutschlands.

Evangelium als KirchenschatzIch möchte daraus nur zwei Thesen vorlesen. Zum Beispiel These 76: „Die päpstlichen Ablässe können nicht einmal die kleinste der lässlichen Sünden tilgen, was die Schuld betrifft.“ Damit ist der Ablasshandel wertlos. Stattdessen verweist Luther allein auf den durch Christi Verdienst geschenkten Schatz: „Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ So lautet These 62. Es ist aus meiner Sicht die gewichtigste von allen.

Gottes Gnade im Evangelium ist gratis für GläubigeWas für ein großes Glück für sehr viele Menschen muss dies damals gewesen sein. Gott spricht seine Gnade im Evangelium gratis allen Gläubigen zu. Er lässt sich nicht in Gulden dafür bezahlen oder durch Ablässe zu etwas bewegen. Aus den Anfängen vom Spätherbst 1517 entwickelte sich eine große Bewegung. In der Folge entstanden Evangelische Kirchen.

Reformatorische EntwicklungenGott führt in die Freiheit durch sein heiliges Wort. Gott schenkt Zukunft. Gott richtet Menschen auf und begabt sie. Aus diesen Überzeugungen entstanden Entwicklungen, die für uns heute selbstverständlich sind, zum Beispiel für alle verständliche Gottesdienste landauf landab in der Landessprache, Schulen für alle Kinder, verheiratete Geistliche mit Kindern und Familie, ein Schatz von für alle singbaren Gemeindeliedern in verständlicher Sprache.

Segen als Folge der Gnade GottesHalten wir heute an den großen Entdeckungen der Reformation fest? Pflegen wir ihre Errungenschaften? Bis heute tragen die Evangelischen Kirchen in starkem Maß zur Bildung in allen Sektoren und Bereichen, zu einem entwickelten Lebensstandard, zu sozialem Zusammenhalt und zur Diakonisierung der Gesellschaft bei. Die Reformation trägt dadurch zur Erfüllung der „Sehnsucht nach Glück“ bei, dass sie die Gnade Gottes als geschenkt, als von Gott zugesprochen, versteht. Alles Übrige sind Folgen daraus.

Zusage himmlischen Heils als paradoxe InterventionÄhnliches geschieht in den Seligpreisungen Jesu. Er beglückwünscht ausgerechnet leidende, arme und nach Gerechtigkeit hungernde Menschen. Gerade sie werden gegen allen Augenschein beglückwünscht und seliggepriesen. Ihre Sehnsucht und ihr Streben nach einer anderen, besseren Welt werden genährt. Das Himmelreich wird ihnen schon jetzt zugesagt.

Engagement für das Wohl von MenschenDieser Glückwunsch und diese Zusage setzen Kräfte frei ähnlich wie zur Zeit des Aufbruchs zur Reformation. „Wo erfahren wird, dass Gott für das Heil des Menschen alles getan hat, da kann man für das Wohl des Menschen gar nicht genug tun.“ Die göttliche Seligsprechung eines Menschen schon zu Lebzeiten entlastet diesen. Sie nimmt ihm Angst und Sorge um die eigene Existenz und beflügelt ihn zu einem menschenfreundlichen Miteinander. Daraus erwachsen solidarische Unterstützung von Bedürftigen und diakonisches Engagement für andere. Daraus erwächst tätige Nächstenliebe.

Geburtstag der Evangelischen KirchenWir haben eingesetzt bei menschlicher „Sehnsucht nach Glück“ als einem allgemeinen Menschenrecht. Vieles steht diesem Glück heute entgegen. Dass Gott seine Gnade allein im Glauben durch Christus im Verheißungswort schenkt, ist die befreiende Botschaft der Reformation, die damals zur Gründung Evangelischer Kirchen führte. Insofern feiern wir heute am Reformationstag den Geburtstag der Evangelischen Kirchen. Das Gott uns gnädig anschaut, das macht uns frei. Davon können wir reden und anderen an diesem Glück teil geben. So bringen wir Bildung zu den Menschen und modernen Lebensstandard und soziale Unterstützung für die, die sie brauchen.

Erfüllte Seligpreisung in PersonIn ähnlicher Weise preist Jesus Menschen mit einem guten Willen, aber wenig Lebensglück selig und verheißt ihnen „Leben, Heil und Seligkeit“, kurz: das Himmelreich. Jesus selbst lebt ein Leben nach den Seligpreisungen vor. Man kann sagen: „Jesus ist die erfüllte Seligpreisung in Person.“ Blicken wir darum auf Jesus und lassen uns anstecken von seiner respektvollen, heilvollen und unterstützenden Art des Umgangs mit Menschen. Seine Zusage an uns Heutige ist klar und verständlich.

GlückseligkeitSie lautet in der Übersetzung der BasisBibel:

Glückselig sind die, die wissen,
dass sie vor Gott arm sind.
Denn ihnen gehört das Himmelreich.
Glückselig sind die, die trauern.
Denn sie werden getröstet werden.
Glückselig sind die, die von Herzen freundlich sind.
Denn sie werden die Erde als Erbe erhalten.
Glückselig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.
Denn sie werden satt werden.
Glückselig sind die, die barmherzig sind.
Denn sie werden barmherzig behandelt werden.
Glückselig sind die, die ein reines Herz haben.
Denn sie werden Gott sehen.
Glückselig sind die, die Frieden stiften.
Denn sie werden Kinder Gottes heißen.
Glückselig sind die, die verfolgt werden,
weil sie für Gottes Gerechtigkeit eintreten.
Denn ihnen gehört das Himmelreich.
Glückselig seid ihr, wenn sie euch beschimpfen,
verfolgen und verleumden,
weil ihr zu mir gehört.
Freut euch und jubelt!
Denn euer Lohn im Himmel ist groß!
Genauso wie euch
haben sie früher die Propheten verfolgt.

Alles Weitere sind Konsequenzen dieser bärenstarken Zusagen Jesu. Gott helfe uns, auf dieser festen Grundlage Jesu zu glauben und zu leben. Amen.


Literaturhinweise: Martin Luther, 95 Thesen (1517), These 62 (mit 60), These 76; Ders., Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), Abschnitt 23; Eberhard Jüngel, Zwischentext bei Nr. 222 im Evangelischen Gesangbuch; Reinhard Feldmeier, „Salz der Erde“. Zugänge zur Bergpredigt, 1998, Seite 34 nbv.

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