Reminiscere / 2. Sonntag der Passionszeit (12. März 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Anja Wessel, Stuttgart [anja.wessel@elkw.de]

Matthäus 12, 38-42

Liebe Gemeinde,
im Konfirmandenunterricht fragte eine Konfirmandin: Frau Wessel, glauben Sie an Gott?
Ich merkte, jetzt wird es ernst, jetzt geht es nicht um „Lernstoff“ oder Wissensvermittlung, jetzt muss ich Rede und Antwort stehen.
„Ja“, antwortete ich. Sie fragte weiter: „Warum, welche Anhaltspunkte haben Sie für ihren Glauben?“
Jetzt wurde es schon schwierig, so auf die Schnelle etwas Überzeugendes zu sagen. Ich antwortete sinngemäß: Immer wieder habe ich Gott erfahren. Es gab glückliche Fügungen in meinem Leben, die für mich nur durch Gottes Wirken erklärbar waren. In schwierigen Situationen habe ich Gottes Nähe gespürt, einen Gedanken, Trost, eine plötzliche innere Ruhe …
Was sollte ich noch sagen? Welche Beispiele nennen? Zu viel sagen ist nicht gut, zu wenig auch nicht. Nichts zerreden. Beweisen kann ich Gott nicht.

Solche Gespräche mit Jugendlichen sind wie Perlen, denn da kommen wir auf die persönliche und existentielle Ebene: Was bedeutet der Glauben für das Leben? Was unterscheidet das Leben von Christen und Nichtchristen? Wie erfahre ich Gott im Alltag?
Hinter der Frage der Konfirmandin steckte echtes Interesse, ja vielleicht die Sehnsucht, Gott zu begreifen, etwas in der Hand zu haben, einen Beweis, ein eindeutiges Zeichen.

Kennen Sie diesen Wunsch nicht auch? Gewissheit, Sicherheit zu haben angesichts der vielen Unsicherheiten und Heilsversprechen im Leben? „Vereindeutigung“?

Lesung des Predigttextes„Da antworteten ihm einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprachen: Meister, wir wollen ein Zeichen von dir sehen.
Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, und es wird ihm kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona.
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.
Die Leute von Ninive werden auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.
Die Königin vom Süden wird auftreten beim Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.“

„Die Schriftgelehrten und Pharisäer“Die Schriftgelehrten und Pharisäer, die Matthäus hier über einen Kamm schert, sind mir sympathisch. Sie wünschen sich Klarheit, Eindeutigkeit. Wie ich auch. Und Jesus geht mit ihnen derart hart ins Gericht. Warum? Was ist an ihrem Anliegen verwerflich?

Eine Anmerkung ist mir an dieser Stelle wichtig: Es kann nicht darum gehen, „die Pharisäer und Schriftgelehrten“ zu verurteilen. Die Pharisäer waren eine Partei, aus der nach der Zerstörung des Zweiten Tempels das rabbinische Judentum hervorging.
Die Schriftgelehrten waren eine Berufsgruppe, die verschiedene Parteien umfasste. Matthäus setzt sich kritisch mit Schriftgelehrten pharisäischer Richtung auseinander, überzieht dabei polemisch und verallgemeinert. Andererseits findet sich bei Matthäus die prinzipielle Anerkennung ihrer Lehrautorität. Matthäus polemisiert gegen diejenigen, die sich nicht zu Jesus als dem verheißenen Messias bekannten.
Solch pauschale Verurteilung führte zu einem christlichen Antijudaismus: Hier wir Christen, die Jesus als Sohn Gottes und Messias erkennen – dort die verstockten Juden. Viel Unheil wurde durch diese christliche „Überlegenheitsbrille“ angerichtet. Historisch betrachtet war die Frage, ob Jesus denn nun der verheißene Messias ist, zunächst eine innerjüdische Streitfrage. Da gab es alles: Ablehnung, Zweifel, begeisterte Nachfolge. Wie heute auch.

Der Wunsch nach einem eindeutigen ZeichenIch komme zurück zu der Frage der Konfirmandin. Sie hätte sich eine „Vereindeutigung“, einen Gottesbeweis gewünscht und wurde enttäuscht. Die Schriftgelehrten und Pharisäer wollten auch nichts Anderes. Sie suchten voller Ernsthaftigkeit Gott und seine Nähe.
Und wir – hätten wir nicht auch gerne diese Eindeutigkeit?

Also, ich würde sie mir manchmal wünschen, wenn Zweifel die Oberhand gewinnen, wenn ich Menschen in schwierigen Lagen begleite und gerne ein starkes Zeichen mitgeben würde. Wenn ich angesichts des Todes die christliche Auferstehungshoffnung groß mache und mit Argumenten schnell am Ende bin.

Mit den Schriftgelehrten und Pharisäern des Matthäusevangeliums fühle ich mich eng verbunden, wenn ich mir ein Zeichen wünsche, ein überzeugendes Eingreifen Gottes angesichts meines manchmal hilflosen Fragens und Stammelns. Wenn ich wieder höre und lese, wie viele Menschen den christlichen Kirchen den Rücken kehren, wie das Bekenntnis zu Jesus Christus infrage gestellt wird zugunsten eines diffusen Glaubens an eine irgendwie geartete höhere Macht.

Ein eindeutiges Zeichen vom Himmel wünsche ich mir auch angesichts so mancher gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen: Der immer gnadenloser geführte Konkurrenzkampf, der in Kauf nimmt, dass Menschen einfach auf der Strecke bleiben. Die Übermacht des Geldes. Im Judentum galt in den Jahrzehnten vor der Tempelzerstörung im Jahr 70 n.Chr. die Gehässigkeit untereinander als die schlimmste Volkssünde. Eine Haltung, die ihre Ursache in der Liebe zum Mammon, zum Geld hatte. Denn das Streben nach Besitz nimmt gefangen: das Herz, den Geist, die Sinne. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, sagt Jesus. Die Auswirkungen der Verehrung des Mammons sehen und erfahren wir heute auf vielfältige und traurige Weise. Kostensenkung und Gewinnmaximierung ist alles. Daran zerbrechen Menschen, dafür wird Leben aufs Spiel gesetzt und geopfert – weltweit. Hinter der Ökonomisierung aller Lebensbereiche verbergen sich Millionen menschlicher Tragödien. Ich bin mitten drin, mische eifrig mit, hänge doch auch am Tropf dieses verfluchten Mammons.

Ein Zeichen des Himmels wünsche ich mir angesichts eines Trump, eines Erdogan, eines Putin, eines Assad, einer erstarkenden AfD, Front National – um nur einige zu nennen.
Ein Zeichen des Himmels, das inmitten der verwirrenden Flut von Informationen, Deutungen und Heilsversprechen zur Klarheit verhilft und Orientierung bietet.
Ein Zeichen, das den Weg Christi als Weg zu Gott plausibel macht. Ein Zeichen, das den Weg weist angesichts des Hungers nach Leben und Liebe.
Ist denn dieser Wunsch verwerflich? So möchte ich Jesus fragen.

Das Zeichen des JonaEs gibt kein anderes Zeichen als das Zeichen des Jona: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein“ (V.40).

Der Prophet Jona sollte die Menschen der Stadt Ninive zur Umkehr rufen. Aber Jona hatte Angst. Er floh vor Gott und stieg auf ein Schiff nach Tarsis. Nichts wie weg! Da kam ein großer Sturm auf, das Schiff drohte zu sinken und per Los wurde Jona als der Schuldige identifiziert. Man warf ihn ins Meer, sofort legte sich der Sturm.
Es kam ein großer Fisch geschwommen.

„Er saugte den Propheten ein.
Der rutschte in den Bauch hinein.
Dort saß er glitschig, aber froh:
denn nass war er ja sowieso.
Da hat er in des Bauches Nacht
ein schönes Lied sich ausgedacht.
Das sang er laut und sang er gern.
Er lobte damit Gott, den Herrn.
Der Fischbauch war wie ein Gewölbe:
das Echo sang noch mal dasselbe.
Die Stimme schwang, das Echo klang,
der ganze Fisch war voll Gesang.
Am dritten Tag im Abendlicht,
da kam das grüne Land in Sicht.
Der Fisch, der würgte sehr und spuckte,
bis Jona aus dem Maul ihm guckte.
Nun sprang der Jona auf den Strand
und winkte, bis der Fisch verschwand.“(1)

Jona ging dann und predigte in der Stadt Ninive und tatsächlich, die Menschen einschließlich des Königs zeigten Reue und änderten ihr Leben. Da erbarmte sich Gott über die Stadt. Jona ärgerte sich darüber, aber Gott machte ihm klar, dass es ihm nicht darum geht, die Menschen ins Verderben zu stürzen, sondern zu retten.

Was ist nun das Zeichen des Jona, von dem Jesus spricht? Die Parallele zu Jesu Tod ist das Zeichen: Wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches war und dann gerettet wurde, so war Jesus drei Tage tot und wurde dann auferweckt. Die Parallele ist gleichzeitig eine kategoriale Überbietung.
Das Zeichen, das Jesus uns anbietet ist seine Person, genauer: sein Tod und seine Auferweckung zu unserem Heil. Also genau die Person und das Ereignis, woran sich die Geister scheiden. Kreuz und Auferstehung machen Gott gerade nicht eindeutig.

Geschenk und GeheimnisJesus weiß genau, dass kein Zeichen seine Zuhörer, uns Zweifler, mehr überzeugen würde als seine bisherigen „Zeichen“: seine Auslegung der Schriften, seine Gleichnisse, die uns den Spiegel vorhalten oder unsere Sehnsüchte offenbaren, seine Wunderheilungen, die unsere menschliche Bedürftigkeit so greifbar und erlebbar machen. Es gibt keine eindeutigen Zeichen in unserer vieldeutigen Welt.

„Wer Ohren hat, der höre“, sagt Jesus in Matthäus 11. Wir haben Gottes Wort, die Bibel, mit ihren vielen Zeugnissen. Sie malt uns vor Augen, wie Gott seine Geschöpfe liebt, ihnen immer wieder nachgeht, sie zur Umkehr ruft, zur Heimkehr zu Gott.
„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit“ (Ps 25,6) – unter dieser Überschrift steht der heutige Sonntag Reminiszere. Jesu Wirken ist ein Zeichen göttlicher Barmherzigkeit.
Uns bleibt nur zu bitten: Herr, öffne unsere Augen, Ohren und Herzen für deine Barmherzigkeit und Liebe.

Wir haben nichts in der Hand. Das Zeichen des gekreuzigten und auferweckten Christus bleibt ein paradoxes und unverfügbares Zeichen: Im Tod ist das Leben. Ein Geheimnis, das nur Gott selbst im Geschenk des Glaubens lüften und erschließen kann und muss, immer wieder neu.
Wir verkündigen es in der Kirche, wir nähern uns ihm im Lesen und Meditieren der biblischen Texte, wir schmecken es im Abendmahl: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit! Amen.

Anmerkungen:
Wichtige Anregungen für diese Predigt sind entnommen aus: (1) Klaus-Peter Hertzsch, Der ganze Fisch war voll Gesang. Biblische Balladen zum Vorlesen, Stuttgart 10. Auflage, 1984, 57f. (Zitat); Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17), EKK I/2, Zürich, Düsseldorf, Neukirchen-Vluyn, 3. Auflage 1999.


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