Rogate (22. Mai 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Frieder Grau, Plochingen [frieder.grau@web.de]

Lukas (1-4)5-13

Intention„Bittet, so wird euch gegeben“: Unverschämt kühnes Bitten trifft auf unverschämt kühne Verheißung. Dass Gott verborgenen sein kann, klingt an. Heute aber sind wir aufgefordert, uns ohne Scham an ihn zu wenden in großer und kleiner Verlegenheit.

11,5 Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange? 12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!


„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste , was es gibt auf der Welt“, sangen einst die Comedian Harmonists. Von einem Freund, einem guten Freund, von drei besten Freunden erzählt Jesus. Sie trauen sich, was man sich nur bei wirklich guten Freunden traut. Aber hören Sie selbst: Lukas 11, 1–13.

Von drei guten Freunden erzählt JesusSpätnachts taucht einer unangekündigt und hungrig beim Freund auf. Der Besuchte gerät in höchstpeinliche Verlegenheit. Kein Brot im Kasten. Ist es unverfroren, um Mitternacht beim Nachbarn anzuklopfen, die Freundschaft zu ihm als Ausweg aus der Verlegenheit zu nutzen? Er traut sich! Da dümpelt eine Freundschaft jahrelang harmlos vor sich hin – und plötzlich wird sie existentiell, kommt in eine Belastungsprobe, kommt an Grenzen. Der Aufgeweckte ist not amused at all. „Mach mir keine Unruhe! Meine Kinder werden spätestens beim Öffnen der Brottruhe wach und fangen an zu schreien.“ Störung heiliger Nachtruhe wegen einem Brot? Dann hilft nur noch „unverschämtes Drängen“, eine Grenzüberschreitung der Zudringlichkeit. Aber dann… Das Klopfen wird gehört, die Tür geöffnet, die Bitte erfüllt. Drei Brote liegen für den hungrigen Gast auf dem Tisch. Der Bittende bittet ja letztlich nicht für sich. Er für-bittet für den späten Gast.

Von drei guten Freunden erzählt Jesus. So erzählt er von uns – und von GottWir untereinander, wir und Gott in belastbarer Freundschaft. Im Beten kommuniziere ich mit Gott. Ohne Kommunikation erschlafft jede Freundschaft. Man muss nicht täglich mit dem Freund kommunizieren, gelegentlich tut’s auch bei einer stabilen Freundschaft. Aber: „Sie reden nicht mehr miteinander“ – das ist der Tod jeder Beziehung. Im Beten geht es darum, ob es Gott für mich gibt, nicht nur ob es Gott überhaupt gibt. Im Beten wird meine Beziehung zu Gott konkret. Allerdings: Gott, der Freund, der Vater, an den sich unsere Bitten richten, ist im Himmel und wir sind auf der Erde. Er ist uns in sichtbarer Gestalt entzogen. Wir sehen ihn nicht, wir hören ihn nicht direkt. Das ist eine Herausforderung für eine vertrauensvolle und ehrliche Kommunikation. Manche kommen unbefangen mit ihren Anliegen zu Gott; er ist für sie da wie der gute Freund von nebenan oder die fürsorgliche Mutter. Oder da betet jemand jahrelang friedlich vor sich hin; und plötzlich in der Not wird Beten radikal und leidenschaftlich. Andere haben Mühe mit dem Beten. Sie finden keinen Zugang zu Gott. Sie haben das Beten schlagartig oder schleichend beendet oder nie begonnen. Aber dann: Nicht wenige, auch notorische Nichtbeter, bitten in Krisensituationen spontan drauf los und klopfen leidenschaftlich an: „Gott, wenn es dich gibt, hilf mir, hilf mir aus meiner Not!“

Genau dazu ermutigt JesusJesus erlaubt es nicht nur. Er fordert nachhaltig auf zum vertrauensvoll-zudringlichen Drängen, zur unverkrampft-direkten Bitte. Traut euch! Klar, ihr seid erwachsene mündige Menschen. „Selber machen“ ist wichtig, grundlegend aber ist Empfangen und Bitten. In Krisen sind wir angewiesen aufeinander und auf Gott. Brot selbst backen sollen wir als mündige Menschen, Brot weitergeben auch. In der Krise aber kann ich nicht mehr selber backen oder machen, sondern empfange das Brot des Lebens mit offenen Händen. Erwachsen Verantwortung übernehmen und kindlich Halt im Gebet suchen schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Seid im Handeln erwachsen, seid im Beten wie Kinder, die wissen, dass ihre Eltern es gut mit ihnen meinen. Sprecht es aus, wenn ihr etwas braucht, wenn ihr euch um einen kranken Nachbarn sorgt, wenn ihr nicht mehr weiter wisst. Bittet nicht zaghaft, sondern ohne Scham, un-ver-schämt, sei’s um Mitternacht. Gott kümmert sich um eure kleinen und großen Anliegen, um eure unverschuldeten und selbst verschuldeten Verlegenheiten. Bittet um das, was euch am Herzen liegt, für euch selbst, für andere. Tretet stellvertretend für sie vor Gott, bittet, klagt, dankt, fordert ein. „Kranken Menschen schenke Ruh, traurige Herzen tröste du“, betete ich als Kind zur Nacht. Irgendwann wurde mir bewusst, welch kühne Bitte ich da ausspreche angesichts unzähliger kranker Menschen und trauriger Herzen. Heute bete ich‘s immer noch, auch mit den Enkeln: „Amen“, das ist: es werde wahr…!

Jesus verspricht: Ihr werdet nicht abgewiesen!„Könnt ihr euch vorstellen, dass ein Freund das Bitten seines Freundes abweist, und sei’s um Mitternacht?“ „Nein, keinesfalls!“ „Könnt ihr euch vorstellen, dass ein Vater seinem hungrigen Kind einen Stein bietet, wenn es um ein Brot bittet?“ „Unmöglich!“ Die real mögliche Alternative klingt an: Der Freund hält verärgert die Tür geschlossen. Nicht nur böse Eltern enthalten ihren Kindern Gutes vor. Dann schlussfolgert Jesus vom Kleineren zum Größeren: Wenn schon ihr verärgerten Nachbarn einem Freund die Tür öffnet, wenn schon ihr fehlsamen Eltern euren Kindern Gutes gebt, wie viel mehr wird Gott…. Abgewiesen zu werden, ist bei Gott noch unmöglicher (falls sich unmöglich steigern lässt) als bei euch.

Noch etwas: Um den Heiligen Geist sollen wir besonders bittenGottes Heiligen Geist können wir überhaupt nicht selber machen, sondern ausschließlich empfangen. Wir, unsere Kirche, unsere Regierenden haben ihn bitter nötig in dürftigen Zeiten und schlimmen Verlegenheiten! „Komm, Gott Schöpfer Heiliger Geist, erneuere das Gesicht der Erde“, so eine leidenschaftliche altkirchliche Bitte. „Du Herr hast selbst in Händen die ganze weite Welt, kannst Menschenherzen wenden, wie es dir wohlgefällt, so gib doch deine Gnad...“, heißt es im Pfingstlied. Und wenn wir einmal nicht wissen, wie wir beten sollen, sorgt der Geist dafür, dass unsere unaussprechlichen Seufzer bei Gott ankommen. Der Geist spornt an, sich nicht abzufinden mit dem, was ist. Er ermutigt, konkret zu bitten: um Heilung, um „Brot für die Welt“, um einen Ausweg aus großer Verlegenheit. Die Bitte um den Heiligen Geist ist die wichtigste Bitte der Gemeinde, keine Flucht ins Unverbindliche. Im Geist kommt Gott selbst, kommt sein Reich, kommt Neues zu uns. Im Geist gibt Gott viel mehr als wir bitten.

Leidenschaftliches Bitten erfordert Mut und RisikobereitschaftLeidenschaftliches Bitten ist nichts für Leute, die aus Angst vor allzu hohen Erwartungen und Enttäuschungen sich mit einfachen Lösungen abfinden. Wir treten heraus aus eher unverbindlichen und allgemeinen Gebetsbitten, wir treten heraus aus vorauseilender Ergebenheit. Wir werden konkret! Liebe Gemeinde, Wunder sind selten geworden. Aber sollen wir deshalb aufhören, notfalls um ein Wunder zu bitten? Konkretes Beten riskiert Anfechtung, führt zu überraschendem Glück. Beides. Wir machen die beglückende Erfahrung: Eine schon abgeschriebene Bitte wird erhört, vielleicht anders als gewünscht, aber sie wird erhört; eine verschlossene Tür tut sich auf, vielleicht eine andere als gedacht, aber sie tut sich auf; neues Leben wird gefunden, vielleicht zögerlich mitten im Schmerz, aber es wird gefunden. Aus Bitte wird Dank. Der bittende Freund hat sicher so viel Anstand im Leib, dass er dem gebenden Freund dankt.

Leidenschaftliches Bitten kann auch in die Klage vor Gott führenWir werden aber auch auf Widerstände und Schwierigkeiten stoßen, wenn wir Gott leidenschaftlich bitten: Unser Beten geht ins Leere. Eine Bitte bleibt unerfüllt, vielleicht sogar die Bitte um den Heiligen Geist. Eine Tür bleibt verschlossen, vielleicht sogar die Tür zu Gott. Das Suchen endet in einer Sackgasse, vielleicht sogar die Suche nach Sinn. Aus Bitte wird dann Klage. „Es sind die Freunde Gottes, die Anfechtung erfahren“, sagt Navid Kermani. Wir lassen Enttäuschung zu, ziehen uns vielleicht zurück, brauchen erst mal eine Gebetspause, ringen um das „Dein Wille geschehe“.
Manche gutwilligen Christenmenschen nehmen Gott dann in Schutz: Er weiß (besser), was für uns gut ist. Er ist kein Wunscherfüllungsautomat. Aber Gott hat Verteidigung nicht nötig. Und Jesus beruhigt nicht. Er stachelt eher auf, mit Gott in Clinch zu treten. Streitet mit ihm, wenn er im Erhören hinter seinen Möglichkeiten und Versprechen zurückbleibt. Werft euer Vertrauen nicht weg, sondern beruft euch auf seine Zusage. Dann wird das Beten zu einem Konfliktgespräch. Was wird denn besser, wenn wir das Beten aufgeben? Martin Luther legte unseren Text so aus: „Wenn wir nun anfahen zu bitten, so verkreucht er sich irgends hin und will nicht hören, verschleußt er sich in ein Kämmerlein... Will man zu ihm rein, so muss man denn kloppen. Wenn man dann einmal oder zwei geklopft hat, so überhöret ers. Letztlich, wenn man des Kloppens will zu viel machen, so tut er auf und spricht: Was willst du denn? Herr, ich will das oder jenes haben. So spricht er: So hab dirs doch. Also muss man ihn aufwecken … durch unser Rufen, Bitten, Schreien, Suchen, Klopfen, Poltern.“

Heute bitten wir im Gottesdienst – miteinander!Der Gottesdienst ist der Ort, wo wir gemeinsam und stellvertretend füreinander bitten. Ein Verstummter klinkt sich stillschweigend ein. Eine vergeblich Klopfende findet Unterstützung. Eine müde Suchende darf sich ausruhen, andere suchen für sie. Die Gemeinschaft trägt. Gemeinsam sind wir stark; gemeinsam sind wir stärker – auch gegenüber Gott. Amen.

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