Rogate (25. Mai 2025)
Johannes 16,23b–28.33
IntentionMit dem Gebet im Namen Jesu bitten wir um die sichtbare Gemeinschaft mit dem auferstandenen Gekreuzigten. Auf den Frieden dessen, der die Welt überwunden hat, sind wir angewiesen. Christus schenkt uns seinen Trost.
Wir hören das Predigtwort aus Johannes 16,23b–33. Christus spricht:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Einigermaßen ratlos, liebe Gemeinde, stehe ich vor der Aufgabe, Ihnen heute die Botschaft unseres Predigtwortes auszurichten. Kann man, kann ich das wirklich sagen: Wenn wir Gott um etwas bitten werden im Namen Jesu, wird er es uns geben? Wenn ich ehrlich bin, muss ich eingestehen, dass ich Gott schon um so manches gebeten habe – und er hat mein Gebet nicht erhört.
Unsere Erfahrungen beim Beten und der Zuspruch JesuIch bitte um Frieden: für die Ukraine und mit Russland, in und um Israel herum, in den globalen Handelsbeziehungen. Stattdessen wird aufgerüstet: mit erhöhten Steuern und mit Kriegsgerät. Ich bitte um Schutz: für die verfolgten Christen in Nordkorea, in Nordafrika und im Vorderen Orient. Ich sehe nicht, dass ihre Bedrängnis nachlässt. Ich bitte um Erneuerung und Wachstum: für unsere Kirche und in den Gemeinden. Stattdessen verzehren wir unsere Kraft im Rückbau: Die Zahl an Gemeinden und Pfarrpersonen nimmt ab, die Finanzen schrumpfen, Gebäude müssen abgestoßen werden.
Ich bitte um Gedeihen: im politischen, im gesellschaftlichen, im familiären Miteinander. Ich kann aber nicht erkennen, dass die empfindlichen Störungen abklingen: der Hass und die Hetze, das Vergleichen und das Distanzieren. Ich bitte um Erbarmen: für die Menschen, die aus der Spur geraten sind. Stattdessen scheint ihre Zahl eher noch zuzunehmen. Ich bitte um Heilung: Einer Nachbarin geht es sehr schlecht, und mir selbst steht eine schwere Augenoperation bevor. Ich erkenne nicht, dass meine Gebete eine Besserung herbeigeführt haben. Glaube ich zu wenig?
Gelegentlich mache ich aber doch auch positive Erfahrungen beim Beten. Mein Onkel lag im Sterben. Wir haben für ihn um ein gnädiges Ende gebetet. Nun hat Gott unser Gebet erhört: Der Sterbende ist im Frieden eingeschlafen. Und auch dies: Nach Jahren der Einsamkeit und scheinbar vergeblicher Bitten schenkt Gott mir einen Menschen, mit dem ich das Leben teilen darf. Gott sei Lob und Dank!
Solche positiven Erfahrungen sind in unserem Glaubensleben freilich nicht die Regel: dass Gott unsere Gebete erhört, dass er unsere dringlichen Wünsche erfüllt, dass er auf unser herzliches Begehren eingeht. Nicht selten beschleicht uns das Gefühl, erfolglos gebetet zu haben.
Kann man die Zusage der Gebetserhörung predigen?Ich bin gebeten worden, die Predigt zum Sonntag Rogate zu schreiben. Der Bitte wollte ich mich nicht verschließen. Daher sagte ich zu. Als ich aber das für heute vorgegebene Predigtwort las, bereute ich meine Zusage. Ich fragte mich: Wie kann ich das predigen, dass Gott ganz selbstverständlich unsere Bitten erhört? Haben wir, habe ich nicht schon oft genug gebetet – und es hat sich nichts getan?!
Ein Gedanke hat mich jedoch nicht losgelassen: Das Predigtwort aus dem Johannesevangelium muss zumindest der Gemeinde etwas zu sagen gehabt haben, in der der Verfasser des Evangeliums lebt. Dem will ich auf die Spur kommen. Dabei soll auch herauskommen, was dieses Wort uns heute zu sagen hat.
Jesus lehrt betenDer vierte Evangelist hat sich seine Aussagen über das Beten nicht einfach ausgedacht. Ihm geht es entscheidend um Jesus Christus, seine Person und sein Werk. Das, was von Jesus bekannt ist, durchdenkt Johannes noch einmal neu.
Das bekannteste Wort Jesu zum Gebet ist das Vaterunser. Das Gebet des Herrn ist uns vertraut. Nach reformatorischer Zählung hat es sieben Bitten. Jesus ermutigt uns, diese Bitten unserem Vater im Himmel immer wieder vorzulegen.
Und Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass Gott die Bitten der Glaubenden erhört: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan“ (Mt 7,7 par.).
Für Jesus sind diese zuversichtlichen Sätze über das Gebet möglich. Denn er beantwortet die Frage nach der Erhörung nicht von menschlicher Erfahrung her. Die Gewissheit der Gebetserhörung leitet er vielmehr aus seiner Kenntnis Gottes ab: Gott ist der Schöpfer; als gütiger Vater sorgt er für seine Menschen. Unter dieser Perspektive ist wirksames Beten zu erwarten.
Die Bitte um die sichtbare Gemeinschaft mit JesusDas Johannesevangelium greift die Gebetslehre Jesu auf. Es stellt sie aber in einen anderen Zusammenhang. Mit den Abschiedsreden Jesu verarbeitet der vierte Evangelist ein Problem auf zwei Ebenen.
Auf einer ersten Ebene müssen die Jünger mit dem Abschied Jesu zurechtkommen: Jesus wird sterben und zum Vater gehen. Auf einer zweiten Ebene müssen es die Mitglieder der Gemeinde des Evangelisten aushalten, dass Jesus nicht mehr sichtbar unter ihnen weilt. Den Glaubenden macht die Abwesenheit ihres Herrn zu schaffen. Die Jünger und die Gemeinde werden mit der Zusage getröstet, dass sie Jesus wiedersehen werden.
Die Bitte wird am Tag des Wiedersehens erhörtAn diesem Punkt setzt unser Predigtwort ein. Es gibt einen Tag des Wiedersehens (Joh 16,22.23a). Für die Jünger ereignet sich dieser Tag, indem der Auferstandene ihnen erscheint. Für alle Späteren ist dies der Tag der Wiederkunft Jesu. An jenem Tag sind alle Fragen, die die Glaubenden jetzt noch umtreiben, beantwortet.
Für eben jenen Tag spricht der vierte Evangelist vom wirksamen Beten. Das Bitten in Jesu Namen zielt auf die Gottesgemeinschaft selbst. Am Tag des Herrn wird Gott also die Bitten erhören, die die Anwesenheit Jesu und die Kraft seiner Gegenwart betreffen. Die Freude darüber, Jesus wiederzusehen, erreicht dann durch die Gebetserhörung den Stand der Vollkommenheit.
Die Verbindung der Glaubenden zu Gott wird von da an nicht mehr durch Jesus vermittelt. Sie haben dann unmittelbaren Zugang zum Vater. Der Glaube, dass Jesus von Gott kommt, und die Liebe zu Jesus dürfen mit der Liebe des Vaters rechnen. Glauben wir das? Hoffen wir darauf?
Der zu Gott erhöhte Christus spendet uns Trost und FriedenDie Wahl des neuen Papstes hat weltweite Beachtung gefunden. Der Glaube an Christus hingegen kommt auf der Tagesordnung der Welt nicht vor. Wir leben in einer Welt, für die Christus allenfalls ein moralisches Vorbild ist. Unser Glaube wird durch die Welt infrage gestellt. Noch schlimmer: In manchen Ländern sind Menschen, die an Christus glauben, Feindseligkeiten ausgesetzt.
Christus lebt nicht sichtbar unter uns. Das erzeugt Angst. Worauf haben wir uns im Glauben eingelassen? Halten wir den Glauben durch, wenn uns die Welt ständig ihre Wirklichkeit vorhält? Sind wir noch mit Christus verbunden, auch wenn nicht alle unsere Gebete erhört werden? Wir haben Angst, dass wir ihn und damit auch uns selbst verlieren könnten. Unser Glaube ist angefochten.
Besser als Optimismus tröstet das Wort des Christus„Ist Optimismus Pflicht?“, so wurde vor einigen Monaten der Präsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften gefragt. Seine Antwort lautete: „Im Verteidigungskrieg ja, sonst nicht. Im Übrigen gilt Johannes 16,33b. Damit wies er auf das Wort Christi hin: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Immer wieder fordert die Welt unseren Glauben heraus. Diese Herausforderungen bestehen wir nicht mit einer durch Optimismus bestimmten Haltung. Es ist Jesus Christus, der uns stark macht. Indem er gestorben und auferstanden ist, ist er der Sieger. Er ist stärker als alles, was sich Gott und den Seinen entgegenstellt. Durch seinen Tod am Kreuz hat er die Welt überwunden. Das tröstet uns.
Christus gibt uns seinen FriedenAuch da, wo wir Anfeindungen wegen unseres Glaubens zu ertragen haben, steht Christus uns bei. Er spricht uns seinen Frieden zu. Solcher Zuspruch ist nicht einfach ein netter, unverbindlicher Wunsch. Der Zuspruch, der von Christus kommt, schafft den Frieden in uns: In ihm haben wir den Frieden. Und dieser Friede darf sich ausbreiten in unsere Verhältnisse hinein, in denen wir leben.
Am Donnerstag feiern wir Christi Himmelfahrt. Für uns Glaubende ist dieser Tag mit dem irdischen Abschied Jesu und seiner himmlischen Inthronisation verbunden. Vielleicht fragen wir uns wie die Jünger damals: Wie können wir das ertragen, dass Jesus uns so entrückt ist? Unser Predigtwort verweist uns auf das Gebet. Und an Pfingsten werden wir feiern, dass Christus uns seinen Geist sendet. Der, der die Welt überwunden hat, stärkt uns durch sein Wort und durch seinen Geist: Er schenkt uns seinen Trost und spricht uns den Frieden zu. Amen.
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