Sexagesimae (12. Februar 2023)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Jesaja 55, 6-12

IntentionDie Predigt möchte Mut machen. Auch in Krisenzeiten ist Gott da und kann und wird Gutes wachsen lassen. Denn seine Gedanken sind anders als menschliches Denken. Beispiele dafür werden aus biblischen Geschichten angeführt. Die ZuhörerInnen werden ihre eigenen Geschichten dazu legen.

„Wann wird es denn endlich wieder normal, so wie früher?“ Die Klage höre ich oft. Leute sagen mir, dass sie schon gar keine Nachrichten mehr sehen und hören wollen, weil doch nur von Krisen, Krieg und Katastrophen die Rede ist. Da muss man sich als Christenmensch doch fragen: Warum lässt Gott das zu? So hat mir neulich mein Banknachbar im Gottesdienst gesagt. Das ist doch nicht normal, wann wird es endlich wieder normal, so wie früher? Und heißen soll das wohl: Wann ist endlich Schluss mit den schlechten Nachrichten, wann ist die Welt wieder ok – wie sie früher war.
Aber war es wirklich besser – früher? Vor 50 Jahren vielleicht, als die Energiekrise uns Sorgen gemacht und uns zu autofreien Sonntagen verholfen hat? Vor 75 Jahren, als alle größeren Städte in Deutschland in Schutt und Asche lagen und Millionen auf der Flucht und die Menschen sich noch dazu schämen mussten, dass es so weit gekommen war durch deutsche Schuld? Vor 99 Jahren, als im Mai in Berlin ein Kilo Brot 474 Mark gekostet hat? Zwei Monate später ist der Preis auf 2200 Mark gestiegen, Anfang Oktober sind es 14 Millionen. Noch einmal vier Wochen später kostet der Brotlaib 5,6 Milliarden Mark. Heute reden wir von der guten alten Zeit!
Oder war es zur Zeit Jesu besser, als die Römer in Israel lange Reihen von Kreuzen aufstellen ließen, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken? Wer nicht geglaubt hat und gesagt, was die Besatzer verlangten, der musste damit rechnen, dort qualvoll zu enden. Oder zur Zeit von diesem Propheten, dessen Worte uns für die Predigt heute zu bedenken gegeben werden? Damals war ein großer Teil der Bevölkerung Israels deportiert, gefangen im feindlichen Babylon. Die babylonische Gefangenschaft ist bis heute sprichwörtlich.

Predigttext Jesaja 55, 6-12a„Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.“

Wann und wo kann man Gott finden?Sucht Gott, solange er zu finden ist. Ja, wie soll man Gott denn finden, in Zeiten wie diesen?
Ich frage mich, haben wir ihn denn früher gefunden, als die Zeiten angeblich besser waren? Sicher, früher war ich jünger. Gesünder auch. Und es ging mir gut. Wahrscheinlich könnten die meisten von Ihnen das auch so sagen. Es ging uns gut – verglichen mit so vielen anderen Menschen hier in Deutschland und erst recht in anderen Ländern. Aber, Hand aufs Herz: Haben wir damals Gott gefunden? Oder war das erst recht die Zeit, wo wir Gott vergessen haben? Weil es so selbstverständlich war, dass es uns gut ging? Weil wir auch ohne Gott gut gelebt haben?
Aber singen wir nicht im Lied (EG 449,4) „Segnen und mehren, Unglück verwehren, sind seine Werke und Taten allein.“ Das, was angeblich normal ist, das sorglose Leben, das ist Gottes Tun – fand jedenfalls der Dichter Paul Gerhard kurz nach dem dreißigjährigen Krieg. Wir finden das inzwischen „normal“, dass es gut geht. Und nur, wenn es mir schlecht geht, dann frage ich nach Gott: Warum lässt er das zu? Warum tut er denn nichts? Sieht er mich nicht?

Gott lässt sich finden – jederzeitVielleicht also ist es ganz gut, dass dieser Prophet in einer schweren Zeit seine Leute damals und uns heute mahnt: Sucht Gott! Er ist zu finden – jetzt! Ruft ihn an! Er ist nahe – jetzt. Er ist ein Gott, der uns sieht, auch wenn wir meinen, dass er uns gerade ganz bestimmt nicht sieht. So ging es ja auch jener Frau namens Hagar damals, von der wir unsere diesjährige Jahreslosung haben: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Die Bibel erzählt, dass sie in eine aussichtslose Lage geraten war. Andere hatten ihr das Leben schwer gemacht und sie unerträglich schlecht behandelt. Sie selber war dann ein bisschen kopflos geflohen und fand sich mitten in der Wüste wieder. Schwanger noch dazu. Warum hilft Gott mir nicht, hat sie sich bestimmt gefragt. Da schickt Gott ihr einen Ratgeber. Einen Fremden, sie hat ihn anscheinend noch nie gesehen. Und ausgerechnet der stellt ihr genau die richtigen Fragen, mitten in der Wüste, als sie nicht mehr weiterweiß und nicht mehr weiterkann. Hagar redet mit diesem merkwürdigen Fremden. Vielleicht haben Sie ihre Geschichte am Jahresanfang schon gehört. Sie redet mit ihm, kann dem Fremden sagen, was sie auf dem Herzen hat und was sie nicht mehr ertragen will. Aber als er sie fragt, wie es nun weitergehen soll, da hat sie keine Antwort. Was werden kann und werden soll, das weiß sie noch nicht. Da rät ihr der Fremde, zurückzugehen. Dahin, wo sie es nicht mehr ausgehalten hat. Ich muss gestehen, so aus der Ferne empört mich das. Genau diese Demütigungen dort wollte und konnte sie doch nicht mehr aushalten. Aber Hagar merkt anscheinend: Im Moment ist das das Vernünftige, die einzige Chance für mich und mein Kind. Und sie spürt: Das ist Gott, der mir da Rat gegeben hat. Sein Bote. Ein Engel. Die müssen ja nicht immer Männer mit Flügeln sein. Und Hagar begreift: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Sie geht also zurück und später, als das Kind schon ein bisschen größer ist, macht sie einen neuen Versuch, sich zu befreien. Auch da ist es dann mühsam. Aber es gelingt. Wieder mit Gottes Hilfe.
Als sie nichts von Gott gesehen und gehört und gespürt hat, da hat Gott sie gesehen. So, wie es auch dieser Prophet Jahrhunderte später seinem Volk verspricht. Sucht Gott. Er ist nahe. Er sieht euch – auch wenn ihr meint, dass er sich nicht um euch kümmert. So wie es auch Jesus Jahrhunderte später versprochen hat: „Ich bin bei euch, alles Tage, bis an der Welt Ende.“

Gott sieht auch die „Gottlosen“ gnädig anGott sieht uns. Und auch, wer ihn vergessen hat, kann sich darauf verlassen. Gott ist nicht nachtragend. Wenn sie ihn anrufen, ist er auch für die da, die ihn vergessen hatten – für die Gottlosen, sagt der Prophet.
Denn Gott denkt anders als wir Menschen. Er fragt nicht, was hat der verdient? Er fragt nicht: Was könnte seine Strafe sein, wenn einer etwas falsch gemacht hat. Er hilft, dass Menschen, die sich ins Abseits manövriert haben, wieder aus ihrer Ecke herauskommen. Die Bibel erzählt viele solcher Geschichten: Denken Sie an Paulus, der zuerst die Christen brutal verfolgt hat. Und später war er derjenige, der das Evangelium in der damals bekannten Welt verbreitet hat. Denken sie an den legendären König David. In der Sprache der heutigen Krimis war er ein Ehebrecher und Mörder. Aber Gott hat ihm die Augen über sich selbst geöffnet. Als David sein Unrecht eingesehen und bereut hat, hat Gott ihn zu dem großen König gemacht, der ein Vorfahre von Jesus war. Und das Volk, das im Finstern wanderte, sein Volk in Krieg und Gefangenschaft – der Prophet hat erlebt, wie sie schließlich tatsächlich in Frieden und Freude heimkehren konnten. Sie hatten gedacht, ihr Schicksal im fremden Land sei Gott egal. Aber er hat sie heimgeführt. Das war auch damals nicht einfach, und vielleicht hat sich mancher zurückgesehnt nach den ruhigen Tagen der Gefangenschaft. Vielleicht haben sie auch da gedacht, dass früher eben doch alles besser war und dass Gott sich nicht für sie interessiert. Aber es ist gelungen. Ihre Sehnsucht hat sich erfüllt. Sie konnten heimkehren.

Gottes Wort hilft – allmählich, wie der RegenEs hat eine Weile gedauert. Es war viel Arbeit. Aber Gott und sein Wort wirken wie Regen und Schnee. Langsam und allmählich oft, manchmal sogar unmerklich. Aber es wird geschehen, was Gottes Wille ist: dass nämlich allen Menschen geholfen werde. Gottes Gedanken sind anders als unsere. Wir meinen immer, er müsste uns das Glück in den Schoß legen. Das, meinen wir, sei doch „normal“ und stehe uns zu. Aber Gott gibt uns sein Wort. Orientiert euch daran! Seid barmherzig. Sucht den Frieden. Tröstet die Trauernden. Schafft Gerechtigkeit. Nehmt euch Gottes Wort zu Herzen. Dann wird sein Frieden unter euch wachsen und gedeihen wie im Land, das genug Regen hatte.
Amen.

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